Einige der Hauptcharaktere dieser Geschichte …
Henri Poincaré (1854-1912) war in allen Teilgebieten der Mathematik erfolgreich, die es zu seiner Lebenszeit gab. Unter seinen Errungenschaften in der Topologie waren die abstrakte Definition von Homotopie und Homologie und die Einführung vieler fundamentaler Konzepte zur Untersuchung von Formen im Raum. Er formulierte die nun nach ihm benannte Poincaré-Vermutung in 1904 bei seiner Arbeit zur Klassifikation von Mannigfaltigkeiten, als er bemerkte, dass die drei-dimensionalen Mannigfaltigkeiten spezielle Schwierigkeiten mit sich brachten. Diese Vermutung wurde eine der wichtigsten Fragestellungen in der algebraischen Topologie und der ganzen Mathematik für die nächsten hundert Jahre.
William Thurston (1946-2012) revolutionierte die Theorie der drei-dimensionalen Mannigfaltigkeiten durch seine Beobachtung, dass hyperbolische Geometrie sehr wichtig für die Untersuchung von drei-dimensionalen Mannigfaltigkeiten ist. Einige seiner neuen Ideen führten zu seiner Formulierung der Geometrisierungsvermutung, welche besagt, dass alle drei-dimensionalen Mannigfaltigkeiten eine gewisse geometrische Zerlegung in Blöcke von acht möglichen Geometrien zulassen, welche heute Thurston-Modellgeometrien genannt werden. Eine der Geometrien in dieser Klassifikation ist die sphärische Geometrie, und ein Beispiel dafür die drei-dimensionale Sphäre. Daran kann man erkennen, dass aus einem Beweis der Geometrisierungsvermutung auch ein Beweis der Poincaré-Vermutung gefolgert werden kann.
Richard S. Hamilton (geb. 1943) führte gewisse partielle Differentialgleichungen für die Riemannsche Metrik einer Mannigfaltigkeit ein, genannt Ricci-Fluss, und benutzte sie, um bemerkenswerte neue Ergebnisse in der Riemannschen Geometrie zu beweisen. Auf einen Hinweis von Sing-Tung Yau hin, dass die Singularitäten der Lösungen des Ricci-Flusses die vorhergesagten topologischen Daten von Thurstons Geometrisierungsvermutung bestimmen könnten, veröffentlichte Hamilton einige tiefgehende Ergebnisse in den 1990er-Jahren in die Richtung der abschließenden Auflösung der Vermutung.
Grigori Perelman (geb. 1966) bewies einige neue, fundamentale Ergebnisse zum Ricci-Fluss, unter anderem eine neuartige Variante zu einigen technische Aspekten von Hamiltons Ideen, insbesondere, wie man einen Ricci-Fluss mit „Chirurgie“ in drei Dimensionen konstruiert, indem man systematisch singuläre Regionen herausschneidet, sobald sie entstehen. Damit zeigte er, dass auf jedem Raum, der die Voraussetzungen der Poincaré-Vermutung erfüllt, der Ricci-Fluss mit Chirurgie nur für eine endliche Zeit existiert, weshalb der subtilere Fall der unendlichen Zeitanalyse des Ricci-Flusses (welcher zu einem Beweis der Geometrisierungsvermutung führt) irrelevant für dieses Problem ist. Dadurch konnte Perelmans Konstruktion des Ricci-Flusses mit Chirurgie genutzt werden, um die Poincaré-Vermutung als Korollar zu zeigen. Nichtsdestotrotz wurden seine Ideen zum Ricci-Fluss mit Chirurgie und unendlicher Zeit in der gemeinsamen Arbeit von anderen Mathematiker*Innen vervollständigt, und somit wurde auch die Geometrisierungsvermutung schlussendlich gelöst. In Jahr 2010 wurde Perelman mit dem Millennium-Preis für seine Erfolge ausgezeichnet, welchen er dem Clay-Institut gegenüber aber ablehnte, da sein Beitrag zur Lösung nicht größer als der von Hamilton gewesen sei.
Eine lange Reise besteht aus vielen einzelnen Schritten …
Max Dehn (1878-1952) leistete wichtige Beiträge zur kombinatorischen Topologie, ein alter Name für ein Gebiet, das heute als algebraische Topologie bekannt ist. Er arbeitete an einem Beweis der Poincaré-Vermutung, bald nachdem sie 1904 von Poincaré aufgestellt worden war, und 1908 glaubte er, einen Beweis dafür gefunden zu haben, aber Heinrich Tietze fand bald darauf einen Fehler darin. Im Jahr 1910 veröffentlichte Dehn einen bahnbrechenden Artikel, in welchem er einen Bohren-und-Füllen-Prozess einführte, der heute Dehn-Chirurgie genannt wird, mit dem man Poincaré-Räume konstruieren kann, also nicht einfach zusammenhängende drei-dimensionale Mannigfaltigkeiten mit der gleichen Topologie wie die dreidimensionale Sphäre. Er bewies auch eine Aussage, heute als Dehns Lemma bekannt, welche man als wichtigen Schritt zum Beweis der Poincaré-Vermutung betrachtete, aber Hellmuth Kneser fand 1929 eine Lücke im Beweis.
Henry Whitehead (1904-1960) wird als einer der Pioniere der Homotopietheorie betrachtet. In seinen Bemühungen, die Poincaré-Vermutung zu beweisen, entdeckte er ein rätselhaftes Objekt, die heute so genannte Whitehead-Mannigfaltigkeit. Sie ist eine offene drei-dimensionale Mannigfaltigkeit, die zusammenziehbar ist, aber nicht homöomorph zum drei-dimensionalen Raum. Tatsächlich kam die Entdeckung aus der Korrektur eines Fehlers in einem früheren Artikels von ihm, in dem er behauptete, dass keine solche Mannigfaltigkeit existieren könnte.
Christos Papakyriakopoulos (1914-1976) arbeitete hauptsächlich in niedrig-dimensionaler Topologie und konzentrierte sich auf Dehns Lemma, welches viele nach Knesers Entdeckung einer Lücke in dem Beweis als möglicherweise falsch in seiner Formulierung ansahen. Im Jahr 1957 stellte Papakyriakopoulos einen richtigen Beweis für Dehns Lemma vor, wodurch er einen neuen Abschnitt an drastischen Entwicklungen in der 3-Mannigfaltigkeiten-Theorie eröffnete. Sein Beweis basierte auf der sogenannten Turm-Konstruktion von Überlagerungen und, durch ähnliche Methoden, bewies er auch ein weiteres wichtiges Resultat bekannt als Sphärensatz. Diese beiden Resultate, zusammen mit dem von ihm im gleichen Jahr bewiesenen Schleifensatz, bedeuteten die Lösung von drei fundamentalen Problemen in der niedrig-dimensionalen Topologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Deshalb hofften viele Mathematiker*Innen, dass ein Beweis der Poincaré-Vermutung endlich umsetzbar war. Papakyriakopoulos widmete den Rest seines Lebens einzig dieser Fragestellung, jedoch ohne sein begehrtes Ziel zu erreichen.
John Stallings (1935-2008) machte ebenfalls wichtige Beiträge zur niedrig-dimensionalen Topologie und der geometrischen Gruppentheorie. Im Jahr 1960 bewies er die Poincaré-Vermutung in Dimensionen größer sechs, unabhängig von und kurz nach Stephen Smale, der den gleichen Schluss in Dimensionen größer vier gezeigt hatte. Sein berühmter Faserungssatz war ein wertvoller Beitrag zur 3-Mannigfaltigkeiten-Topologie. Des Weiteren, veröffentlichte er 1965 einen Artikel “How not to prove the Poincaré conjecture” („Wie man die Poincaré-Vermutung nicht beweist“). Dort gibt er humorvoll zu, dass er selbst einen fehlerhaften Beweis der Poincaré-Vermutung entworfen hatte (dieser wurde jedoch nie veröffentlicht). Stallings stellte eine gruppentheoretische Umformulierung der Vermutung vor, welche zu darauffolgenden Untersuchungen der algebraischen Aspekte der Vermutung führte.
R. H. Bing (1914-1986) arbeitete fast ausschließlich mit drei-dimensionalen Mannigfaltigkeiten und der Ausdruck „Topologie im Stil von Bing“ bezieht sich heutzutage auf seine Methoden. Bing machte einige große, jedoch nicht erfolgreiche, Bemühungen, um die Poincaré-Vermutung anzugehen, wodurch er zum Ruf der Vermutung beigetragen hat, sehr schwierig zu sein. Er initiierte Forschung zu der sogenannten P-Eigenschaft-Vermutung als eine möglicherweise einfacher anzugehende Version der Poincaré-Vermutung. Die P-Eigenschaft-Vermutung ist eine Aussage über drei-dimensionale Mannigfaltigkeiten, welche man durch Dehn-Chirurgie an einem Knoten in der drei-dimensionalen Sphäre erhält, und wurde als erster Schritt betrachtet, die Poincaré-Vermutung zu lösen. Die P-Eigenschaft-Vermutung wurde 2004 endlich bewiesen, aufbauend auf vielen einzelnen Bemühungen von Mathematiker*Innen, nur ein Jahr, nachdem Perelman seinen Beweis der Poincaré-Vermutung verkündet hatte.
Wolfgang Haken (geb. 1928) leistete beachtliche Beiträge zur Theorie von drei-dimensionalen Mannigfaltigkeiten und ist einer der Pioniere der algorithmischen Topologie. Innerhalb einiger Jahre nach dem Durchbruch von Papakyriakopoulos arbeitete Haken auch an der Poincaré-Vermutung und machte erheblichen Fortschritt darin, ziemlich allgemeine drei-dimensionale Mannigfaltigkeiten zu verstehen. Insbesondere löste Haken in 1961 das „Einfachheit-Problem“ für Knoten, und basierend auf diesem Erfolg, machte Friedhelm Waldhausen weiteren Fortschritt, indem er die Klasse der Graphenmannigfaltigkeiten in 1967 einführte.
Eine große Anzahl an bekannten Mathematiker*Innen arbeitete in den 1960er- und 1970er-Jahren an den Eigenschaften von 3-Mannigfaltigkeiten und erstellte einige wichtige Beispiele, die dabei halfen, das Verständnis von 3-Mannigfaltigkeiten zu verbessern. Inspiriert durch diese Beispiele entwickelte William Thurston eine reichhaltige Theorie der hyperbolischen Mannigfaltigkeiten und formulierte sein endgültiges Bild in einer Vermutung zu 3-Mannigfaltigkeiten, ausgedrückt in seiner berühmten Geometrisierungsvermutung und einer Liste von acht möglichen Modellgeometrien. Die Anstrengungen, die Geometrisierungsvermutung zu beweisen, waren schließlich erfolgreich, und so wurde die Lösung zu der Poincaré-Vermutung im Jahre 2003 schließlich Wirklichkeit.
Über drei Dimensionen hinaus …
Die Verallgemeinerte Poincaré-Vermutung sagt aus, dass eine Mannigfaltigkeit, die eine Homotopie-Sphäre ist, auch schon eine Sphäre ist. Hier meinen wir bei einer Homotopie-Sphäre eine geschlossene n-Mannigfaltigkeit welche homotop zu einer n-Sphäre ist. Genauer gesagt, legen wir uns auf eine Kategorie von Mannigfaltigkeiten fest wie die Topologischen (Top), die Stückweis-Linearen (PL) oder die Differenzierbaren (Diff), dann ist die Aussage die folgende:
Jede Homotopie-Sphäre in der gewählten Kategorie (Top, PL, Diff) ist in dieser isomorph zu der n-Einheitssphäre.
Beachte dabei, dass für topologische Mannigfaltigkeiten der Dimension drei, eine Homotopie-Sphäre bereits äquivalent dazu ist, einfach zusammenhängend und abgeschlossen zu sein, weswegen sich die Aussage dort auf die Poincaré-Vermutung reduziert. Es ist bekannt, dass die Verallgemeinerte Poincaré-Vermutung in einigen Fällen wahr oder falsch ist, dank der Arbeit von vielen Mathematiker*Innen.
Hier nun eine Zusammenfassung zum Stand der Verallgemeinerten Poincaré-Vermutung in verschiedenen Umgebungen:
- Top: wahr in allen Dimensionen
- PL: wahr in allen Dimensionen außer vier; unbekannt in Dimension vier, in welcher die Vermutung äquivalent zu Diff ist
- Diff: im Allgemeinen falsch, wahr in einiger Dimensionen, einschließlich eins, zwei, drei, fünf und sechs. Das erste Gegenbeispiel wurde in Dimension sieben gefunden. Der Fall von Dimension vier ist äquivalent zu PL, und bis zum jetzigen Stand ist er nicht entschieden.
Die Fälle n = 1 und 2 waren lange bekannt, basierend auf der Klassifikation von Mannigfaltigkeiten in diesen Dimensionen.
Für eine PL oder glatte n-Homotopie-Sphäre bewies Stephen Smale 1960 für Dimensionen größer gleich sieben, dass sie homöomorph zu einer n-Sphäre sind und erweiterte seinen Beweis danach auf Dimensionen größer gleich fünf. Kurz nach der Ankündigung seines Resultats gab John Stallings einen anderen Beweis für Dimensionen größer sieben, dass eine PL n-Homotopie-Sphäre homöomorph zu einer n-Sphäre ist, indem er das Konzept des „Einhüllens“ (engulfing) einführte. In 1961 modifizierte Christopher Zeeman die Konstruktion von Stallings Konstruktion, damit diese auch in Dimensionen fünf und sechs funktionierte. Michael Freedman löste den topologischen Fall für n = 4 in 1982. Der schwierigste Fall war immer der klassische Fall n = 3 der Poincaré-Vermutung, in welcher der Topologische, der PL, und der Differenzierbare Fall alle äquivalent sind. Wie wir schon gesehen haben, wurde dies 2003 nach den Arbeiten von Perelman gelöst.
Weiterlesen …
- Milnor, J. (2003). Towards the Poincaré conjecture and the classification of 3-manifolds. Notices AMS, 50 (248), 1226-1233.
- Morgan, J. and Tian, G. (2007). Ricci flow and the Poincaré conjecture. Clay Mathematics Monographs 3. American Mathematical Society, Providence, RI; Clay Mathematics Institute, Cambridge, MA, xlii+521 pp.
- Morgan, J. and Tian, G. (2014). The Geometrization Conjecture. Clay Mathematics Monographs 5. American Mathematical Society, Providence, RI; Clay Mathematics Institute, Cambridge, MA, 2014. x+291 pp.
- O’Shea, D. (2007). The Poincaré conjecture. In search of the shape of the universe. Walker & Company, New York, x+293 pp.
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